Aktionstag für den Kreis Ludwigsburg Informationen zur Existenzsicherung

Der Arbeitskreis Existenzsicherung im Landkreis informiert am Donnerstag, 20. Oktober, über „Armut im Klimawandel“ und protestiert gegen soziale Ungerechtigkeit.
Lange Schlangen vor den Tafelläden, in den Kleiderläden herrscht Ansturm, ein Anstieg in den Schuldnerberatungen – immer mehr Menschen suchen Hilfe in den Beratungsstellen des Kreises, weil sie finanziell nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll. Daniela Saramat von der Sozialberatung Ludwigsburg TiB, sowie die Diakone Rainer Bauer von der Diakonie Württemberg in Marbach und Christian Ecker von der Karlshöhe Ludwigsburg können davon ein Lied singen.
In der TiB-Schuldnerberatung haben im vergangenen Jahr 520 Menschen Rat gesucht. 800 Menschen kamen in die Sozialberatung der Diakonie-Bezirksstelle Marbach, sagt Rainer Bauer. Und auch Christian Ecker von der Fachabteilung Hilfen für Menschen mit psychischen und sozialen Schwierigkeiten der Karlshöhe spricht von einer immer größer werden Zahl an hilfesuchenden Menschen. „Es ist ein Rattenschwanz, den die Armut nach sich zieht: soziale Vereinsamung, Depressionen, Suchtprobleme, Gewalt, gesellschaftliche Spaltung“, sagt Ecker.
Aber es sind nicht nur Hartz-IV-Empfänger, Grundsicherungs-Empfänger, Geringverdiener, die durch die steigenden Kosten bei Energie, Lebensmittel und anderen Waren derzeit in immense finanzielle Schwierigkeiten kommen. „Die Armut ist mitten in unserer Gesellschaft angekommen“, sagt Diakon Bauer.“ Die Personen, die finanziell künftig in die Bredouille kommen, sind laut Bauer immer mehr Rentner, Alleinerziehende oder Teilzeitangestellte.
Aktionstag Armut auf dem Marktplatz in Ludwigsburg
Um auf die zunehmende Armut und die soziale Ungerechtigkeit, die auf Grundlage des Regelsatzes von Hartz IV (siehe Kasten) entsteht, aufzuklären, veranstaltet der Arbeitskreis Existenzsicherung, zu dem alle Wohlfahrtsverbände des Kreises gehören, einen Informations- und Aktionstag am Donnerstag, 20. Oktober, auf dem Marktplatz zum Thema „Armut im Klimawandel“.
Der Aktionstag hat zwei Ziele: Erstens zu zeigen, dass der Regelsatz bei Hartz IV steigen muss, laut Berechnung der Sozialverbände mindestens auf 650 Euro pro Person, da die bisherigen 449 Euro „die Grundkosten nicht decken können“, so Saramat. „Und dann wollen wir denen, die nicht mehr wissen, wie es weitergeht, aufzeigen, wo und wie sie Hilfe bekommen können und dass sie sich nicht schämen sollen, diese in Anspruch zu nehmen“, so Ecker. Und dass sie möglicherweise Förderung bekommen können, beispielsweise, wenn durch die Energiekosten ihr Verdienst unter die Grenze des Mindesteinkommens rutscht. „Lieber einen Antrag zu viel stellen, als keinen“, rät Ecker. Und wenn die hohen Stromnachzahlungen nicht beglichen werden können, darf der Anbieter nicht sofort den Strom abstellen. „Er muss dies ankündigen und erst, wenn mehr als 100 Euro ausstehen, darf er dies tun“, sagt Bauer. Davor aber könne man mit den Anbietern zu einer Regelung kommen. „Viele trauen sich nur nicht, bei ihrem Energieunternehmen anzurufen“, so Ecker.
9-Euro-Ticket für Menschen mit geringen Einkünften
Daniela Saramat hat ein weiteres Beispiel: In der Schuldnerberatung gibt es immer mehr Menschen, die durch Schwarzfahren im öffentlichen Nahverkehr hohe Schulden machen und denen gar eine Gefängnisstrafe drohe. „Für viele wird die notwendige Fahrt aus Bietigheim, Marbach oder Abstatt zum Jobcenter nach Ludwigsburg zum finanziellen Fiasko.“
In der Zeit des 9-Euro-Tickets, so konnte sie bemerken, wurde das Schwarzfahren weniger. Sie fragt sich deshalb, warum es nicht für Grundsicherungsempfänger dieses Ticket weiter gibt. „Das haben viele in Anspruch genommen“, sagt sie.
Ein weiteres Beispiel, so Christian Ecker, sei, wenn der Kühlschrank kaputt gehe: „Ein Kredit dafür vom Jobcenter muss mit mindestens 44,90 monatlich abbezahlt werden“, sagt er, da müsse in anderen Bereichen gespart werden. „Es ist Quatsch, zu denken, dass ein Hartz-VI-Empfänger die im Warenkorb vorgesehenen 43,82 für Kultur ausgibt“, sagt er. Energiesparmaßnahmen bedeuteten für Menschen mit geringen Einkünften, zu frieren oder kalt zu duschen.
Teilweise, so sagen alle drei Sozialberater, könne man durch Spenden oder Fördertöpfe helfen. „Die Politik zieht sich aus der Verantwortung“, sagt Saramat. Die Menschen mit geringen Einkünften und die von Hartz IV leben müssten, seien keineswegs „faul und arbeitsscheu“. „Die meisten sind unverschuldet an den Rand der Gesellschaft geraten“, so Rainer Bauer.
Der Warenkorb der Armut
Für den Hartz-IV-Regelsatz
von 449 Euro pro Person von der Bundesregierung ein exemplarischer Warenkorb für 2022 erstellt. Darin ist einzelnen Positionen ein bestimmer dafür vorgesehener Betrag zugeordnet, den der Empfänger dafür ausgeben kann. Somit wurden der Satz von 449 Euro durch die Bundesregierung als Grundlage zur Existenzsicherung vorgeben und dient damit grundsätzlich als Maß.
Die Berechnung
zufolge sind im Regelsatz als größter Posten 155,82 für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren vorgesehen, gefolgt von 43,82 Euro für Freizeit, Kultur und Unterhaltung. An dritter stelle rangiert der Posten verkehr mit 40,27 Euro (eine Monatsfahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr muss selbst bezahlt werden und kostet künfitg 49 Euro). Für Post und Telekommunikation werden 40,15 angesetzt. 38,07 Euro sollen für Energie und Wohninstandhaltung verwendet werden (die Miete übernimmt bei Hartz-IV-Empfängern das Jobcenter. 37,26 Euro können für Bekleidung und Schuhe ausgegeben werden, 35,77 Euro für andere Waren und Dienstleistungen. Für Haushaltsgeräte, Innenausstattung und laufende Haushaltsführung sind in dem Warenkorb 27,35 Euro vorgeschlagen, für die Gesundheitspflege 17,14 Euro. Für Beherbergungsdienstleistungen sind 11,75 Euro vorgesehen, für das Bildungswesen 1,62 pro Monat.
Das theoretische
Grundlagen für den Warenkorb zur Existenzsicherung. Meistens werden die Ausgaben je nach bedarf verschoben. Wenn beispielsweise der Kühlschrank kaputt geht, gewährt das Jobcenter einen Kredit, der mit zehn Prozent der Einkünfte, für Hartz-IV-Empfänger also 49 Euro pro Monat, Zurückgezahlt werden muss und dann eben in einem anderen Bereich eingespart werden muss. sz
Ein Artikel aus der Bietigheimer-Zeitung vom 17.10.2022 von Gabriele Szczegulski